1. Die Ära Heinrich Köhler

Heinrich Köhlers Name ist bis heute untrennbar
mit seinem Lebenswerk, seinem Auktionshaus,
verbunden. Dabei verkürzt bereits diese
Reduzierung auf die 1913 in Berlin entstandene
und von ihm selbst bis zu seinem unerwartet
schnellen Tod 1945 geführte Versteigerungsfirma
die Leistungen, aber auch deren Bedeutung
für die deutsche Philatelie in unzulässiger
Weise. Heinrich Köhler war weit mehr als ein erfolgreicher
Auktionator, weit mehr als ein Briefmarkenhändler,
zumal ihm beides nicht in die
Wiege gelegt war.

Die undatierte Bleistiftzeichnung von Heinrich Köhler
Die undatierte Bleistiftzeichnung (signiert „Liebusch“) zeigt Heinrich Köhler im fortgeschrittenen Alter.

Köhler war ein Kosmopolit, der aus einer seit
Jahrhunderten weit über damalige Landesgrenzen
hinaus künstlerisch tätigen Familie stammte.

Zwar ging er aus in diesem Kapitel noch aufzuweisenden
Gründen nicht den Weg seiner Vorfahren,
aber er blieb dem Anliegen und der Denkweise
eines Weltbürgers von jung an treu. Solche
Voraussetzungen führten ihn als jungen Mann,
teils über längere Zeit, nach Frankreich oder England
und selbst bis nach Nicaragua. Dabei lernte
er Menschen kennen, denen er ein Leben lang
verbunden blieb, mit denen ihn und seine spätere
Frau Anna tiefe Freundschaften verbanden, die
sie beide in ihrem gastlichen Heim in Berlin –
nicht nur zur IPOSTA 1930 – pflegten.
Dabei wäre die Annahme völlig verfehlt, diesen
Lebensweg habe ihm ein gütiges Schicksal
bestimmt. Zwar mag er von Haus aus günstigere
Voraussetzungen, z.B. zum Erlernen verschiedener
damals führender Sprachen, mitgebracht
haben, aber Gesellschaft und Politik späterer
Jahre zwangen auch ihm ihren Stempel auf.
Der Erste Weltkrieg beendete eine Partnerschaft
mit einem nahezu gleichaltrigen französischen
Freund, führte gar die ungewollte Trennung herbei
und nötigte ihn zur alleinigen Selbständigkeit.
Die darauf folgende Inflation brachte sein
so erfolgreich begonnenes Auktionshaus in Berlin
beinah zum Erliegen – wenn da nicht Freunde
in der Not gewesen wären, die ihm helfend zur
Seite gestanden hätten.

Auch während der Weltwirtschaftskrise zu Beginn
der 1930er-Jahre musste er nicht selten die
letzten privaten Reserven mobilisieren, um das
Geschäft am Leben zu erhalten. Er hatte Glück,
auch wenn er es – ähnlich wie Millionen anderer
Deutscher jener Zeit – mit einem hohen Preis
bezahlte, der Zwangsdiktatur und dem mörderischen
System des Nationalsozialismus. Zwar
wusste er sich während dieser Zeit zwischen Anpassung
und Aufgabe der eigenen Identität zu
entscheiden, aber die Jahre, zumal des Zweiten
Weltkrieges, gingen nicht spurlos an ihm vorüber. Seine persönliche Einstellung als Freigeist und Kosmopolit entsprach in keiner Weise dem Idealbild eines völkisch gesinnten, auf Führer
und Vaterland eingeschworenen Charakters,
zumal seine langjährigen, weltweit gepflegten
Kontakte, Freundschaften und Verbindungen ihn
eher verdächtig machten, – zumindest seine politische
oder gar parteipolitische Neutralität ihn
nicht unbedingt empfahl.

Er überstand auch dies, erlebte und überlebte
die für Berlin schlimmen Kriegsjahre ab 1941,
sah aber seine Stadt in Schutt und Asche sinken.
Er hielt die Firma, solange es ging, aufrecht,
wenngleich sie seit 1943 nur noch dahinvegetierte.
Wenige Wochen nach Kriegsende war es
auch für ihn vorbei. Er starb an den Folgen einer
Erkrankung im Juni 1945, bis zuletzt aufopferungsvoll
gepflegt von seiner Frau Anna, da in
diesen Wochen an eine wirkungsvolle ärztliche
Hilfe und eine effektive Krankenhaus-Versorgung
nicht mehr zu denken war.

Mit Heinrich Köhlers Tod ging eine Epoche zu
Ende, die gesellschaftlich wechselhaft und von
monarchischem Kaisertum bis hin zu politischer
Parteien- und Führerdiktatur geprägt war. Philatelistisch
wurde diese Zeit von großen Verdiensten
einzelner beeindruckender Persönlichkeiten
begleitet. Heinrich Köhler wuchs dabei selbst zu
einer solchen heran. Er schuf nicht nur ein erfolgreiches
Auktionshaus, er setzte auch – wie
aufzuweisen ist – mehrfach Maßstäbe. Nicht nur
in seinem Kampf gegen Fälscher, Betrüger und
Gauner, die er aktiv und engagiert enttarnte und
so entlarvte, dass Fälle (wie z.B. von Siegel in
Berlin) an die Strafverfolgungsbehörden übergehen
konnten. Er setzte auch Maßstäbe, indem
er Kriterien für das Prüfwesen einführte und ab
Mitte der 1920er-Jahre selbst praktizierte, aber
solche auch für die Qualitätsbeschreibung von
Auktionslosen stetig weiterentwickelte.

Heinrich Köhler war in erster Linie ein Forscher,
den alles an der Briefmarke interessierte.
Zum Beispiel deren Herkunft und Herstellung, deren
Merkmale und Erkennungszeichen, natürlich
auch deren Wert und Werthaltigkeit. Zwischen 1913 und 1925 legte er eine große Prüf- und Provenienz-Kartei an, die leider nur noch in Teilen in der heutigen Firma erhalten blieb. Deren
Ausarbeitungen zu verschiedensten Fälschungen,
z.B. Umprägungen des geprägten kleinen
bzw. großen Adlers bei den ersten Ausgaben des
Deutschen Reiches ab 1871, beeindrucken noch
heute dank der zahlreichen vergrößerten Fotos
und Beschreibungen.

Nicht alles brachte Köhler zu Lebzeiten an die
Öffentlichkeit. Nicht weniges behielt er für sich
und in seinem Archiv. Ein Beispiel waren seine
Erkenntnisse zum Fall von Rudolf Siegel, dessen
Ergebnis – Siegels Enttarnung – man zwar immer
kannte, aber nie dazu die näheren Details erfuhr.
Warum dies so war und was wirklich geschah,
kann der Autor dank einer aufgefundenen Korrespondenz
erstmalig veröffentlichen.

Ölgemälde Heinrich Köhlers
Mit diesem Ölgemälde Heinrich Köhlers wird von der heutigen Firma in Wiesbaden die Erinnerung an den Gründer bewahrt.

Die Philatelie dankte Heinrich Köhler für sein
Engagement und widmete ihm bereits 1927 eine

Motiv-Ganzsache, die seine bedeutende Stellung
unterstrich. Auch die internationale Philatelie
wusste seine Bedeutung mit mehreren, ihm seit
1929 zuerkannten Ehrungen angemessen zu würdigen.
Da erscheint es beinah auffällig, dass die
deutsche Verbandsphilatelie dies nicht ebenso
nachvollzog. Selbst der Berliner Philatelisten-
Klub von 1888, dem Köhler seit 1936 angehörte,
dessen führende Mitglieder er bestens kannte
und mit denen er vielfach seit Jahren befreundet
war, tat dies nicht, denn eine Lindenberg-
Medaille wurde ihm nach 1933 nicht zuteil. An
seinem Status als Berufsphilatelist dürfte das
weniger gelegen haben. Als Prüfer und Leiter der
Oberprüfstelle, die von Sammlerverbänden mitgetragen
wurde, war er sowieso einer einseitigen

Betrachtung entzogen. Eher scheint es – dies ist
allerdings nur eine heute nicht näher belegbare
Annahme –, dass es politisch, auch für den Berliner
Klub, nicht opportun war, einen auch noch
so verdienstvollen und anerkannten Philatelisten
auszuzeichnen, der Kosmopolit war und Freunde
in zahlreichen Ländern hatte, die nunmehr, spätestens
ab 1939, Feindesländer waren.

Erst der 1996 von dem Initiator Wilhelm van
Loo, dem Stifter Volker Parthen und dem Bund
Philatelistischer Prüfer eingeführte Heinrich-
Köhler-Preis hat dieses Defizit ausgeglichen.
Heinrich Köhlers Name steht seitdem auch in der
deutschen Verbandsphilatelie, wenngleich posthum,
auf dem richtigen Platz.

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